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Im Jahr 2000 stellten Forschende aus der Schweiz und Deutschland einen gentechnisch veränderten (gv) Reis vor, der in seinen Körnern das Pigment Carotinoid produzierte. Wegen der gelblichen Farbe der Körner tauften ihn die Erfinder*innen auf den Namen „Golden Rice“ (Goldener Reis). Sie hofften, mit ihrem „goldenen“ Reis den Vitamin-A-Mangel in armen Ländern lindern zu können. Denn der menschliche Körper kann Carotinoide in Vitamin A umwandeln.
„Dieser Reis könnte eine Million Kinder pro Jahr retten“, titelte deshalb das Time Magazine im Jahr 2000. Gerettet wurde bisher keines, denn der Reis hat bis heute keine gültige Genehmigung für den kommerziellen Anbau. Kritiker*innen bemängeln, dass nach wie vor wichtige technische Daten fehlen, um beurteilen zu können, ob der gv-Reis die Menschen überhaupt ausreichend mit Vitamin-A versorgen könne. Zudem seien die langfristigen Risiken, die mit dem Anbau dieser Pflanzen einhergehen, erheblich. Die Befürworter*innen des gv-Reises begegnen dieser Kritik vor allem mit moralischen Argumenten. Der „goldene“ Reis ist daher ein Paradebeispiel für gescheiterte Versprechen der Agro-Gentechnik und den Umgang damit.
Mangelt es Menschen an Vitamin A können sie erblinden oder anfällig werden für Infektionen. Besonders betroffen sind mangelernährte Kinder in Armutsregionen. In den 90-er Jahren war Vitamin A-Mangel (VAD) weltweit bei 23 bis 34 Prozent der verstorbenen Kinder unter fünf Jahren die Todesursache. Bis 2013 sank dieser Anteil auf etwa zwei Prozent. Die Ursachen dafür waren „umfangreiche Impfprogramme gegen Masern, ein besserer Zugang zu sauberem Wasser sowie die Versorgung mit Vitamin A-Tabletten durch kommunale Gesundheitsprogramme“ heißt es in einem Aufsatz von Golden Rice-Befürwortern. Dennoch haben weiterhin einige 100 Millionen Kinder zuwenig Vitamin A im Blut, vor allem in Ländern in Südostasien und südlich der Sahara. Das Problem ist also noch nicht gelöst, aber deutlich kleiner als vor 25 Jahren.
Peige Song et. al.: The prevalence of vitamin A deficiency and its public health significance in children in low- and middle-income countries: A systematic review and modelling analysis (Journal of Global Health, 11.08.2023)
Die erste, im Jahr 2000 vorgestellte Version des „goldenen“ Reises (GR1) verwendete ein Nelken-Gen und wies nur geringe Mengen an Carotinoiden auf. Erst eine Weiterentwicklung des Unternehmens Syngenta mit einem Mais-Gen lieferte 2004 einen Reis, dessen Körner tatsächlich gelb waren und bis zu 30 Mikrogramm Carotinoide je Gramm Reis (µg/g) enthielten. Diese Linie (GR2) wurde 2004 in einem Feldversuch in den USA getestet. 2005 stellte Syngenta GR2 in mehreren Varianten dem Golden Rice Project (GRP) unter Federführung des internationalen Reisforschungszentrum IRRI auf den Philippinen zur Verfügung. Das GRP will GR2 in gängige, öffentlich zugängliche Reissorten einkreuzen, auf die Kleinbauern trotz der Patentrechte auf das Verfahren ohne Lizenzgebühren Zugriff bekommen sollen. Diese von den GR-Erfinder*innen durchgesetzte, sinnvolle Regelung führte dazu, dass die großen Gentechnik-Konzerne ihr Interesse am gv-Reis verloren, weil damit kein Geld mehr zu verdienen war. Die weitere Arbeit am GR wurde durch Spenden (vor allem der Stiftungen von Rockefeller und Gates) und aus den laufenden Haushalten der beteiligten Institute finanziert. Zeitaufwändig war es für die Forschenden, das GR2-Erbgut dauerhaft in den gewünschten Hochertragssorten zu verankern. Die nächsten umfangreicheren Feldversuche fanden deshalb erst 2012 und 2013 auf den Philippinen, in Bangladesch und in Indien statt; ein Versuch auf den Philippinen wurde von aufgebrachten Bauern zerstört. Die Feldtests ergaben, dass die Erträge der getesteten Linie (GR2R) geringer waren als die der bevorzugten lokalen Sorten, wie das IRRI selbst bestätigte. Ab 2015 gab es deshalb weitere Feldversuche mit der Linie GR2E auf den Philippinen und in Bangladesch. Als importiertes Lebensmittel ist der GR seit 2018 in Australien, Neuseeland, den USA und Kanada zugelassen. Ein Import in diese Länder ist nicht geplant, die Zulassungen dienten deshalb vor allem der Öffentlichkeitsarbeit. Auf den Philippinen wurde GR2E 2022 erstmals in größerem Maßstab angebaut und 67 Tonnen geerntet – auch als Saatgut für einen geplanten kommerziellen Anbau. Diesen hatte die philippinische Regierung 2021 zugelassen. Deren Dekret wurde jedoch vom obersten Gericht des Landes im April 2023 per einstweiliger Verfügung außer Kraft gesetzt. Im April 2024 untersagte das philippinische Appellationsgericht im Hauptverfahren den kommerziellen Anbau sowie weitere Feldversuche und verlangte von den Regierungsbehörden eine striktere Risikobewertung und Überwachung. Eine Berufung ist möglich, doch bis dahin bleibt der Reis vom Acker.
Die Golden Rice-Seite des internationalen Reisforschungsinstituts IRRI
Informationsdienst Gentechnik: "Goldener Reis" geerntet, Filipinos besorgt (13.12.2022)
Informationsdienst Gentechnik: „Goldener Reis“ - Philippinische Richter stoppen Anbau (02.05.2023)
Informationsdienst Gentechnik: Philippinen: Gericht verbietet Anbau von „goldenem“ Reis (17.05.2024)
Bis heute liegen nur wenige Daten zu den Carotinoiden und anderen Inhaltsstoffen in dem gentechnisch veränderten Reis vor. In dem Zulassungsantrag für Australien und Neuseeland von 2016 nannte das IRRI aus Feldversuchen Carotinoidgehalte von 3,5µg/g bis 10,9 µg/g. Feldversuche in Bangladesch ergaben Carotinoidgehalte von 8,5 bis 12,5 μg/g. Das ist deutlich weniger als die 30 μg/g im ursprünglichen GR2. Auch die Anteile des besonders wichtigen Beta-Carotins lagen niedriger. Zudem kann der Gehalt durch Lagerung, Verarbeitung und Kochen weiter abnehmen. Systematische Untersuchungen hierzu fehlen bisher.
Ob der menschliche Organismus die Carotinoide aus dem Reis überhaupt aufnehmen kann, untersuchten US-Forschende 2009 an fünf freiwilligen Erwachsenen. Sie kamen zu dem Schluss, dass „goldener“ Reis den Vitamin-A-Mangel bekämpfen könne. Andere Expert*innen wiesen darauf hin, dass die gemessenen Werte stark schwankten und die Zahl der Testpersonen zu klein gewesen sei. Unklar ist auch, welche Öle oder Fette zusätzlich zum Reis verzehrt werden müssten, um die Aufnahme der Carotinoide aus dem Darm zu ermöglichen. Der Hauptautor der Studie testete den gv-Reis 2009 auch an chinesischen Schulkindern. Die 2012 veröffentlichte Arbeit musste zurückgezogen werden, da das Team die Eltern und die Behörden nicht von dem Versuch informiert hatte.
Weitere Arbeiten darüber, was „goldener“ Reis im Körper von Menschen bewirkt, fehlen immer noch. Zu den Feldversuchen in Bangladesch schrieben die Forschenden, vor einem kommerziellen Anbau müsse die Wirksamkeit ihrer GR2E-Kreuzung „in einer großen unterernährten Gemeinschaft durch einen umfassenden Ernährungsversuch validiert werden“. Das IRRI schreibt auf seiner Seite, sobald man die erforderlichen Genehmigungen und Zulassungen erhalten habe „wird eine unabhängige Ernährungsstudie durchgeführt, um den Beitrag von „goldenem“ Reis zum Vitamin-A-Status der Zielgemeinden zu bewerten“.
Ohne eine umfassende Analyse der Inhaltsstoffe des gelben Reises vorgelegt oder Fütterungsstudien an Tieren durchgeführt zu haben, behaupteten desssen Befürworter*innen jahrelang, dass man gesundheitliche Risiken nicht untersuchen müsse, weil es keine gebe. Während Fütterungsstudien bis heute ausstehen, gab es in den letzten Jahren zumindest einige Veröffentlichungen aus den Feldversuchen, bei denen gängige Inhaltsstoffe und agronomische Eigenschaften zwischen GR2E und den ursprünglichen gentechnikfreien Linien verglichen wurden. Dabei ergaben sich nur vereinzelt signifikante Unterschiede, etwa in der Zahl der Ähren oder dem Gehalt an Amylose-Stärke. Untersucht wurden auch zwei Enzyme, die bei GR2E dafür sorgen, dass überhaupt Carotinoide entstehen. Die Forschenden kamen zu dem Ergebnis, dass diese Enzyme keine Ähnlichkeiten mit Allergenen oder Toxinen hätten und zudem schnell verdaut würden. Deshalb betrachteten sie GR2E als sicher. Was weiterhin fehlt ist eine systematische Suche nach unerwarteten Inhaltsstoffen durch den Eingriff ins Erbgut.
Das Golden Rice Project hat die wissenschaftlichen Publikationen zum „goldenen“ Reis zusammengestellt (nach unten scrollen).
Reis gehört zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln der Menschheit. Deswegen ist besonders gründlich zu prüfen, wie sicher gentechnisch veränderter Reis langfristig ist. In vielen Anbauregionen sind wilde Reisarten und unkrautartiger Reis weit verbreitet. Transgener Reis kann sich per Pollenflug mit wildem und unkrautartigem Reis kreuzen und in erheblichem Umfang Erbgut austauschen. So können sich gentechnisch veränderte Gene unkontrolliert ausbreiten. Untersuchungen in China belegen, dass die Hybride, die zwischen gentechnisch verändertem Kulturreis und seinen wilden Verwandten gebildet werden, unerwartete biologische Eigenschaften aufweisen können. Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass sich die fremden Gene, sobald sie sich einmal in den Wildpopulationen verbreitet haben, wieder zurückholen lassen. Das birgt nicht nur Risiken für die Ökosysteme, sondern kann den gesamten Reisanbau erheblich beeinträchtigen. Der Gen-Austausch ist keine Einbahnstraße, sondern findet in beide Richtungen statt. Zwischen dem Acker und den umgebenden Wildpflanzen kann sich ein regelrechter Kreislauf etablieren: Mit dem Pollen der wilden und unkrautartigen Reisarten können die fremden Gene auch wieder zurück auf den Acker gelangen – auch wenn dort gentechnikfreier Reis angebaut wird. So werden unumkehrbar fremde Gene in den Gen-Pool der Reispflanzen eingetragen. Es können Schäden auftreten, die man bei der Risikoabschätzung nicht vorhergesehen hat, weil transgene Pflanzen unter wechselnden Umweltbedingungen instabil werden können und sich dann anders verhalten als gedacht. Auch wenn der gv-Reis aus anderen Gründen nach ein paar Jahren des Anbaus nicht mehr erwünscht ist, wird man ihn nicht wieder von den Äckern und aus den Ökosystemen verbannen können. Aus diesem Grund gibt es bisher auch keinen kommerziellen Anbau eines anderen gv-Reises weltweit, obwohl Sorten etwa mit Herbizid- (LL 62) oder Schädlingsresistenz (Bt-Reissorten Shanyou 63 und Jinyou 63) entwickelt wurden.
Umfangreiche Belege dazu finden sich in Testbiotech Hintergrund: Golden-Rice - PR Kampagne ohne Glaubwürdigkeit (Januar 2014, Kapitel 3.2)
Dass dies nicht nur Theorie ist, zeigte sich 2017, als Wissenschaftler*innen über unerwünschte Nebenwirkungen bei Kreuzungen des „goldenen“ Reises (GR2R) mit der indischen Reissorte Swarna berichteten: Die neuen Reispflanzen wuchsen deutlich schlechter. Dafür gab es mehrere Ursachen: Zum einen beeinträchtigt das zusätzlich eingebaute Genkonstrukt die Funktion eines natürlichen Gens, welches das Wachstum der Pflanzen fördert. Zum andern waren die zusätzlichen Gene nicht wie geplant nur in den Körnern aktiv, sondern auch in den Blättern. Dadurch verminderte sich der Gehalt des für die Pflanzen lebensnotwendigen Chlorophylls. Diese Nebenwirkungen waren bei früheren Untersuchungen nicht aufgefallen. Sie führten dazu, dass mit dieser Linie nicht weitergearbeitet wurde.
Die Befürworter*innen des „goldenen“ Reises hatten für alle Verzögerungen ihres Projekts von Anfang an bis heute ausschließlich eine Erklärung: Schuld seien behördliche Vorgaben für Gentechnikzulassungen und Organisationen wie Greenpeace, die auf die Risiken dieser Technologie hinwiesen und deren Überprüfung verlangten. So erhob Ingo Potrykus, Professor für Pflanzenwissenschaften an der ETH Zürich und Mitentwickler des gv-Reises 2010 schwere moralische Vorwürfe: Die „Überregulierung“ koste Menschenleben. Gentechnik müsse „entdämonisiert“ werden, sonst würde die Gesellschaft ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begehen. Auf die Spitze trieb die Argumentation Bruce Chassy, ein früherer Professor der Universität Illinois, der nach einem Bericht der New York Times vom Saatguthersteller Monsanto bezahlt wurde. Er verglich ebenfalls 2010 die Opfer, die angeblich mangels Vitamin-A-Reis sterben müssen, indirekt mit dem Holocaust. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine funktionierende Einkreuzung des GR-Erbguts in die gängigen asiatischen Reissorten. Das legt den Verdacht nahe, dass es den Befürworter*innen des Projekts in erster Linie darum ging, mit dem „goldenen“ Reis als Hebel, die Agro-Gentechnik insgesamt von Auflagen zu befreien. Im Juni 2016 unterzeichneten mehr als 100 Nobelpreisträger einen Aufruf für den Anbau des sogenannten „goldenen“ Reises. Die Initiative richtete sich vor allem gegen die Kritiker*innen des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen und wurde von Sir Richard Roberts angestoßen, der 1993 den Nobelpreis für Medizin erhalten hatte. Roberts ist wissenschaftlicher Leiter der Firma New England Biolabs zu deren Kunden Konzerne wie Monsanto, Syngenta und DowAgroSciences gehören. Zu diesem Zeitpunkt liefen die ersten Feldversuche mit gängigen Reissorten mit eingekreuztem GR2E. Zuletzt veröffentlichten GR-Befürworter*innen 2021 einen Kommentar, in dem sie die Zulassung des Reises forderten.
Niemand bezweifelt, dass Vitamin-A-Mangel dringend bekämpft werden muss. Seit die Idee des „goldenen“ Reises zum ersten Mal präsentiert wurde, sind mit anderen international anerkannten Programmen wesentliche Fortschritte in der Bekämpfung des Vitamin-A-Mangels erzielt worden. Sie reichen von der flächendeckenden Verteilung von Vitamin-A-Präparaten und Vitamin-A-angereicherten Nahrungsmitteln wie Zucker bis hin zu einer Umstellung der Ernährungsgrundlagen und dem Anbau von eigenem Gemüse in Hausgärten. So gibt es konventionell gezüchtete Pflanzen mit einem hohen Gehalt an Carotinoiden wie Maniok und Mais, die sich zur Bekämpfung des Vitamin-A-Mangels eignen. Diese erprobten Ansätze werden auch in Zukunft zur Lösung der Probleme vor Ort unverzichtbar sein. Die Gentechnik hingegen hat zur Lösung außer immer neuen Anläufen und Schuldzuweisungen wenig beigetragen. Dennoch wird der Ansatz, Mangelernährung mit Eingriffen ins Erbgut von Nahrungspflanzen zu lösen, weiter verfolgt. Das IRRI arbeitet an einem gentechnisch veränderten Reis mit erhöhtem Eisen- und Zinkgehalt. Japanische Wissenschaftler*innen wollen mit Hilfe von Crispr/Cas Carotinoide in den Reis bringen.
Die Gefahr bei solchen Ansätzen ist, dass solche scheinbar einfachen Lösungen vergessen lassen, die eigentlichen Ursachen von Mangelernährung und Hunger zu bekämpfen und auf diese Weise die dadurch entstehenden Probleme – wie Vitamin A Mangel – nachhaltig zu lösen.
Mehr dazu auf unserer Themenseite Gentechnik und Hunger.
Zuletzt aktualisiert: Juni 2024