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Die Evolution ist ein langsamer Prozess: Gemäß den Mendelschen Regeln werden neue Eigenschaften mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent an die Nachkommen vererbt. Gene Drives bewirken, dass sich bestimmte gentechnisch veränderte Eigenschaften innerhalb weniger Generationen durchsetzen. Sie sind quasi ein eingebauter Vererbungsturbo, der die Mendelschen Regeln außer Kraft setzt. Gene Drives können genutzt werden, um Wildpopulationen und Arten zu manipulieren oder sogar zu eliminieren.
Bestehende Forschungsprojekte wollen Krankheitsüberträger wie Moskitos ausrotten sowie schädliche invasive Arten oder landwirtschaftliche Schädlinge eliminieren. Noch wird diese neue Technik im Labor erforscht, doch es gibt konkrete Pläne, Organismen mit Gene Drives (GDO) auszusetzen.
Solche Freisetzungen wären ein Paradigmenwechsel in der Gentechnik-Politik. Bisher gilt im EU-Recht das Vorsorgeprinzip. Es verlangt, dass gentechnisch veränderte Organismen (GVO) nur zugelassen werden dürfen, wenn sie kontrolliert werden können. Deshalb gibt es Sicherheitsvorkehrungen in Laboren, für die Produktion mit GVO in Fermentern und für den Anbau, sei es zu Versuchszwecken oder kommerziell. Wird jedoch ein GDO freigesetzt, ist es geradezu seine Aufgabe, sich unkontrolliert auszubreiten und zu vermehren.
Deshalb sind GDO-Freisetzungen mit bisher nur schwer abschätzbaren ökologischen Risiken verbunden und werfen grundlegende ethische Fragen auf. Hinzu kommt, dass es bisher kaum rechtliche Regelungen für solche Freisetzungen gibt.
Zum Einlesen: Gene Drives: Die neue Gentechnik zum Umbau der Evolution.
Die häufigste Variante eines Gene Drives besteht aus drei Komponenten: der Genschere CRISPR/Cas9, einem Botenmolekül und einem neuen oder veränderten Gen. Der Gene Drive wird zunächst im Labor in das Erbgut des Zielorganismus, z.B. einer Maus eingeschleust. Er wird nach Befruchtung der Eizelle aktiv und identifiziert mit Hilfe des Botenmoleküls eine Zielsequenz im unmanipulierten Chromosom. Dort schneidet das Enzym Cas9 ins Erbgut. Natürliche Reparaturmechanismen in der geschädigten Zelle versuchen dann, den Schnitt mit Hilfe einer Vorlage zu reparieren. Als Vorlage dient der Gene Drive auf dem gentechnisch veränderten Chromosom: Er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit vollständig kopiert und ersetzt das bisherige Gen auf dem bislang nicht manipulierten Chromosom. Dadurch tragen beide Chromosomen dieselbe Eigenschaft, die damit sicher weiter vererbt wird. Unter optimalen Bedingungen verdrängt der Gene Drive innerhalb von 10 bis 20 Generationen alle natürlichen Genvarianten. Im Labor und bei einfachen Organismen wie Fruchtfliegen oder Mücken funktioniert das bereits ziemlich gut. Nun wollen Wissenschaftler Gene Drives auch in freier Wildbahn testen. Ein kurzes animiertes Erklärvideo.
Das internationale Forschungskonsortium Target Malaria will mit Hilfe von Gene Drives Anopheles-Mücken ausrotten, die Malaria übertragen. Finanziert werden die Wissenschaftler zum großen Teil von der Bill & Melinda Gates Foundation. Target Malaria will sterile weibliche Anophelesmücken erzeugen oder die Geschlechterverteilung beeinflussen, so dass nur noch Männchen geboren werden und diese Eigenschaften mit einem Gene Drive in der wildlebenden Population verbreiten. Versuche in großen Käfigen zeigten, dass dieser Ansatz grundsätzlich funktioniert. Im Juli 2019 führte das Konsortium in Burkina Faso erste Tests mit gentechnisch veränderten sterilen Mücken durch, die jedoch noch keinen Gene Drive in sich trugen. Im Jahr 2024 soll die erste Freisetzung von Gene Drive Mücken beginnen.
Die Target Malaria Webseite
Das African Centre for Biodiversity setzt sich kritisch mit Target Malaria auseinander.
Mehr Informationen und Quellen bei Stop Gene Drives
Patente zu Crispr-basierten Gene Drives führen hunderte Tiere und Pflanzen auf, deren Eindämmung oder Ausrottung die landwirtschaftlichen Erträge steigern könnte. In drei Fällen gibt es bereits konkrete Pläne. Mit Gene Drives sollen die Kirschessigfliege, Blattflöhe und die Neuwelt-Schraubenwurmfliege ausgerottet werden. Am weitesten gediehen sind die vom Verband der kalifornischen Kirschenanbauer geförderten Experimente an der Universität von San Diego.
Bei Pflanzen könnte ein Gene Drive die natürliche Vermehrung resistenter Super-Unkräuter verhindern oder eine Pestizidresistenz rückgängig machen. Das würde den Herstellern dieses Pestizids nutzen, das dadurch wieder wirksam würde. Doch um die Technik in Pflanzen anwenden zu können, müssen die Forscher noch große technische Hürden überwinden, so dass es hier noch keine konkreten Projekte gibt.
Mehr dazu und viele Quellen bei Stop Gene Drives
ETC Group, Heinrich Böll Stiftung: Forcing the Farm (Oktober 2018)
Menschen haben zahlreiche Tierarten auf fremde Inseln und Kontinente verschleppt, wo sie zu einer ernsten Bedrohung für die einheimische Tier- und Pflanzenwelt wurden. Ein Beispiel sind eingeschleppte Ratten und Mäuse, die kleinere Tiere und die Brut einheimischer Vögel dezimieren.
Das Projekt Genetic Biocontrol of Invasive Rodents (GBIRd) will klären, ob invasive Mäuse durch Gene Drives ausgerottet werden können und unter welchen Bedingungen dieser Eingriff akzeptabel wäre. Wissenschaftler der Universität von Kalifornien in San Diego haben 2019 erstmals einen Gene Drive für Mäuse entwickelt.
Gene Drives befinden sich in einem frühen Stadium der Entwicklung, die Diskussion über mögliche Folgen und Risiken ist daher in weiten Teilen noch spekulativ. Doch bereits jetzt zeichnen sich zahlreiche kritische Punkte ab, die vor einer möglichen Freisetzung berücksichtigt werden müssen:
Einmal in die Natur freigesetzt, verbreitet sich ein Gene Drive Organismus aktiv in freilebenden Populationen und kann sich rasch über große Distanzen ausbreiten. Die unüberschaubare Vielfalt der betroffenen natürlichen Lebensräume und Ökosysteme erschwert die Vorhersage und Kontrolle möglicher Risiken massiv.
Ein Gene Drive verursacht eine permanente gentechnische Veränderung des Erbguts, die an alle nachfolgenden Generationen weitervererbt wird. Selbst wenn ein Gene Drive auf Resistenzen trifft und sich nicht mehr aus eigener Kraft verbreitet, werden diese Veränderungen weiterhin nach den Mendelschen Regeln vererbt und überdauern noch lange im Erbgut der Population.
Gene Drives sind auf das Erbgut einer einzelnen Art zugeschnitten, doch in vielen Fällen kann eine Auskreuzung über Artgrenzen hinweg kaum verhindert werden. Das gilt etwa für verschiedene Mücken- oder Fruchtfliegenarten, die untereinander fruchtbare Nachkommen zeugen können. Bei gentechnisch veränderten Moskitos ohne Gene Drive sind solche Auskreuzungen schon nachgewiesen worden.
Unerwartete Effekte von Crispr/Cas9
Das gentechnische Werkzeug Crispr/Cas9 funktioniert nicht ohne Fehler. Es kann die Aktivität des Zielgens auf unvorhersehbare Weise ändern oder zu unerwarteten Mutationen an anderen Stellen im Erbgut führen.
Jedes Lebewesen, selbst wenn es Menschen gefährlich oder schädlich erscheint, erfüllt wichtige Aufgaben in seinem Lebensraum. Die Ausrottung oder auch nur Manipulation einer Art wird daher Folgen für das gesamte Ökosystem haben.
Da sie so neu sind, befindet sich die politische Diskussion und die Regulierung von Gene Drive Organismen (GDO) noch ganz am Anfang.
Solange sich ein GDO im Labor aufhält, regeln die EU-Mitgliedsstaaten die Anforderungen dafür. Deutschland hat im Sommer 2019 Sicherheitsstandards für den Umgang mit GDO in Forschungslaboren festgelegt.
Sollte ein GDO in der EU freigesetzt werden, müsste nach der Gentechnikrichtlinie der EU in einem Zulassungsverfahren das damit verbundene Risiko geprüft werden. Das Ziel der EU-Richtlinie ist es, die unkontrollierte Ausbreitung von GVO in die Umwelt zu verhindern. Da sich ein Gene Drive Organismus (GDO) unkontrolliert in die Umwelt ausbreiten soll, wäre schon deshalb eine Freisetzung im Rahmen des geltenden EU-Rechts nicht zulässig.
Es gibt bisher kein internationales Abkommen über Gene Drive Organismen. Im Rahmen der UN-Biodiversitätskonvention wurden 2018 Empfehlungenfür den Umgang mit GDO beschlossen, die rechtlich jedoch nicht bindend sind.
Infodienst Gentechnik: Gene Drives: Vage Regeln statt weltweites Moratorium
Zuletzt aktualisiert: Januar 2021